Sommerferien

Charlotte war wohl genauso überrascht wie sie selbst, ihrer Reaktion nach zu urteilen. Zuerst wurde sie ein, zwei Fragen und umarmte die Gryffindor anschließend. Melissa erwiderte die Umarmung und musste dann erst nach den richtigen Worten suchen. "Nein eigentlich ist er ja ein friedlicher Mensch, aber er kommt mit meinem Vater nicht gut klar, wie du vielleicht erkennen kannst", meinte sie dann genervt. "Dieser Urlaub ist DIE Hölle, ich sag's dir! Andauernd zicken sie sich gegenseitig an. Das treibt mich noch in den Wahnsinn!" Das Nervigste war ja, dass man nicht einschreiten konnte, weil man sonst mitten ins Gefecht geriet und den Zorn der beiden einstecken musste. Das Mädchen wusste gar nicht, vor wem sie sich mehr fürchtete. Wohl eher Joshua. Roger wusste seine Wut zu zügeln, da er sie liebte. Aber ihr Bruder kannte keine Gnade, wenn er einmal aufgebracht war. "Sag mir bitte, dass deine Ferien hier wenigstens ein wenig erholsamer sind als meine. Ich wünsche es dir auf jeden Fall", sagte sie schließlich noch freundlich. Es war wohl nicht schwer ihren eigenen Familientrip in Sachen Erholsamkeit zu übertreffen.

Wenn es wenigstens Urlaubsstimmung gegeben hätte. Es war doch nur, weil Melissa raus aus England und etwas Tolles erleben wollte. Am liebsten hätte sie Joshua zwar zu ihrer Tante abgeschoben, aber die liebe Mutter wollte ja mal wieder einen Familienurlaub. Das hatte sie jetzt davon. Zwei Zicken, die sich die ganze Zeit gegenseitig anfahren, anschreien und sich niedermachen. Wirklich toller Urlaub. Irgendwie war sie froh, dass sie alleine am Eifelturm war. Naja, ganz alleine war sie ja nicht. Aber ohne ihre Familie und das war das, was zählte. Ein ruhiger Moment mit schöner Aussicht und guter Gesellschaft. Charlotte hatte wirklich Glück mit ihren Eltern. "Und was macht ihr so? Eher Sightseeing oder... was anderes?", fragte die Gryffindor neugierig und lächelte ihrer Freundin entgegen.
Ihr Blick schweifte wieder in die Ferne. Sie konnte nur wiederholt finden, dass es wunderschön war. Was hätte sie für eine derartige Aussicht nur gegeben. Naja was hatte sie dafür gegeben. Sie war ja nicht umsonst gefühlte millionen Stufen hinauf gelatscht um sich dann zu ärgern, dass Paris eine furchtbar hässliche Stadt war. Zwar klang das ganz nach ihr, doch glücklicherweise war die Stadt schöner als sie sein könnte. Und vor allem größer. Die Größe machte auch noch viel aus. Es war einfach wunderbar.

"Ich kann deine Eltern aber verstehen. Ich würde auch am liebsten jeden noch so kleinen Winkel der Welt entdecken und sehen", gab Melissa zu. Sie hatte das Reisen schon immer geliebt, selbst als Kind. Die vielen Geschäftsreisen ihrer Eltern waren damals eine wahre Wohltat für sie gewesen. Auch wenn sie so gut wie immer weg war und nur selten Zeit Zuhause verbringen konnte, war sie froh, dass ihre Kindheit so verlaufen war. Es war wohl auch gut, dass sie damals nur selten Kontakt zu ihrem Bruder gehabt hat. So lernte sie erst gar nicht sich auf ihn zu verlassen. Diese Erziehung hatte ihr so manche Enttäuschung erspart und dafür konnte sie nicht genug danken.
Bei Charlottes Kommentar über die Aussicht musste das Mädchen schmunzeln. Sie konnte nicht umsonst die Augen nicht davon lassen und ebenfalls die ganze Zeit daran denken, wie schön es hier war. "Wenn es nach mir ginge würde ich mir hier ein... Baumhaus - falls man das so sagen kann, sonst eben ein Turmhaus - einrichten lassen und sofort einziehen." Wenn sie so darüber nachdachte, musste man sie nun für wirklich dämlich halten. Besonders, da sie kein großer Fan hoher Orte war. Doch so war Melissa eben. Sie liebte schöne Aussichten und würde sich am liebsten nie wieder von ihnen trennen.

'Frühe' und 'geweckt' waren zwei Wörter, die Melissa überhaupt nicht ausstehen konnte. Besonders dann nicht, wenn sie in Kombination vorkamen. Da kam ihr immer das Grauen und sämtliche Horror-Erinnerungen kamen wieder auf. Die zahlreichen Male, die sie von ihrer Mutter sanft geweckt wurde. Die zahlreichen Male, die sie von ihrem Vater wach gerüttelt wurde. Und natürlich auch die zahlreichen Male, die sie von Joshua aus dem Bett geworfen wurde oder gleich im Bett eine kalte Dusche nehmen durfte. Ja, dieser Bruder war eindeutig der Teufel höchstpersönlich. Man könnte einen auch einfach sanft stupsen, aber nein. Nein, Joshua konnte das nicht. Wohl war er zu unfähig, als dass er dies zusammenbrachte. Er zog einen lieber gleich aus den Federn oder holte einen Kübel mit eiskaltem Wasser. Konnte man Brüder denn nicht einfach umtauschen!?
"Also... nein das würde ich nicht wollen. Ich würde mir ein Gebiet absperren und jeden, der es wagt mich zu wecken HÖCHSTPERSÖNLICH vom Turm werfen!", meinte sie ernst. Bei dieser Angelegenheit kannte sie absolut keine Gnade. Wer sie unsanft weckte musste sterben! Oder... zumindest bestraft werden. Ein Wunder, dass ihr Bruderherz ungeschoren davon gekommen war. Jedes Mal... Naja, gut. Der war ja schon genug mit sich selbst bestraft. Da musste man nicht noch einen draufsetzen, wie sie fand.
"Also meine Eltern haben ja nie was vor. Außer meinem Vater. Allerdings auch nur mit Josh streiten. Bei den zweien ist Ärger vorprogrammiert und ich sag's dir, das versaut einem den ganzen Urlaub!", meinte Melissa ein wenig genervt, als sie wieder an die lautstarken Auseinandersetzungen dachte. "Ich bin so froh, dass keiner von denen mit hier rauf gekommen ist. Sonst hätte ich sie womöglich alle hinunter geschupft. Dann wäre endlich mal Ruhe!" Naja, die eigene Familie vom Eifelturm werfen klang ja wirklich verlockend, aber durchziehen würde es die Britin niemals. Dafür liebte sie jeden einzelnen zu viel. Ja, sogar ihren Bruder liebte sie auch irgendwo gaaaaaaaaaanz tief in ihr drinnen.